LEBENSPHASEN LEBENSPHASEN Experteninterview mit Andrea Didszun Soweit für Beschäftigte der § 11 TVöD Anwendung findet und ein ärztliches Gutachten die Pflegebedürftigkeit von Angehörigen bestätigt, kann für deren Pflege eine Teilzeitbe- schäftigung bis zu 5 Jahren beantragt werden. Dieser Antrag soll vom Arbeitgeber bewilligt werden, sofern keine dring- lichen dienstlichen Belange dem Antrag entgegenstehen. E ben noch war die alleinstehende Mutter zwar etwas wacklig, kam aber recht gut allein zurecht. Nach einem Sturz und einem Krankenhausaufenthalt ist plötzlich al- les anders und die Mutter ist auf eine tägliche Unterstützung an- gewiesen. Doch wie kann man das alles am besten organisieren, wenn man auch noch berufstätig ist? Gerade bei einer engen Bin- dung zum Gepflegten besteht leicht die Gefahr der Überforderung bei der Pflege. In unserem Experten-Interview erklärt Sozialarbei- terin und Gerontologin Andrea Didszun, wie man das passende Pflegepaket schnürt, Fürsorge und Beruf in Einklang bringt und welche Unterstützung Pflegende nutzen können. Wie finde ich heraus, wie viel ich realistischerweise selbst bei der Pflege eines Angehörigen übernehmen kann? Ideal wäre es natürlich, wenn Sie sich dazu vielleicht schon Ge- danken gemacht haben, bevor der Pflegefall eintritt. Holen Sie sich möglichst externe Beratung dazu. Eine gute Orientierung finden Sie zum Beispiel in einer Beratung in einem Pflegestützpunkt, die in vie- len Bundesländern, so auch in Bayern und der Pfalz, kostenlos und unabhängig angeboten werden. Was erfahre ich in einer solchen Beratung? Zum einen, wie der Unterstützungsbedarf der pflegebedürftigen Person ist, welche Leistungen des sozialen Sicherungssystems ihr zustehen und welche Anträge gestellt werden können. Aber wir schauen auch grundsätzlich darauf, wie sich trotz Pflegebedürftig- keit in der Familie eine gute Lebensqualität für alle erreichen lässt. Unsere gemeinsame Aufgabe ist dabei, realistisch zu prüfen, was davon wirklich geht. Worauf gilt es zu achten, wenn ich meinen Job für die Pflege eines Angehörigen reduzieren möchte? Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass es für Pflegezeiten bis- her keine Lohnersatzleistungen gibt. Es besteht nur die Möglichkeit, Einkommensausfälle in der Pflegezeit oder Familienpflegezeit mit einem Darlehen zu überbrücken. Für Menschen, die auf das Geld angewiesen sind, ist das keine wirkliche Unterstützung. Das Pfle- gegeld, das Pflegebedürftige von der Pflegekasse erhalten und das abhängig vom Pflegegrad 316 bis 901 Euro monatlich betragen kann, wird von ihnen zwar öfter an ihre Pflegeperson weitergereicht. Es ist aber zu niedrig, um Verdienstausfälle wirklich kompensieren zu können. Es kann lediglich eine kleine Stundenreduzierung ab- federn. Wer für die Pflege Stunden reduziert oder ganz die Arbeit niederlegt, muss somit schauen, wie er die Lebenshaltungskosten stemmt und seine soziale Absicherung aufrechterhält. Welche Ansprüche ergeben sich denn für mich als Angehörige aus den Gesetzen zur Pflege- und zur Familienpflegezeit? Der wichtigste Anspruch ist die sogenannte kurzzeitige Arbeitsver- hinderung, bei der sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bis zu 10 Arbeitstage pro Pflegebedürftigem beanspruchen können. Dafür gewährt die Pflegekasse das Pflegeunterstützungsgeld, das bis zu 90 Prozent des Netto-Gehaltes ersetzt. Die Pflegezeit erlaubt eine Freistellung von bis zu 6 Monaten, um einen pflegebedürftigen An- gehörigen zu betreuen. Voraussetzung ist eine Anstellung bei einem Arbeitgeber mit mehr als 15 Beschäftigten. Die sogenannte Familien- Pflegezeit erstreckt sich bis zu 2 Jahre und ermöglicht eine Redu- zierung der Arbeitszeit auf mindestens 15 Stunden pro Woche. Ein Rechtsanspruch besteht nur, wenn der Arbeitgeber mehr als 25 Beschäftigte hat. In beiden Fällen gibt es einen Kündigungsschutz, jedoch keinen Entgeltersatz. Angenommen, ich kann das finanziell irgendwie stemmen und möchte einige Stunden reduzieren: Dann sind 2 Jahre natürlich auch nicht sehr lang. Eine interessante Option ist die Brückenteilzeit, die jedoch nur in Unter- nehmen ab 46 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt. Hier haben Arbeit- nehmende das Recht, ihre Arbeitszeit für maximal 5 Jahre zu kürzen. In den Zeiten des Fachkräftemangels klingen diese Regelungen nicht mehr wirklich bahnbrechend. Diese Rechtsansprüche stammen aus einer Zeit, als es oft schwer war, aus der Teilzeit-Falle herauszukommen. Viele Unternehmen set- zen sich inzwischen aktiv mit dem Thema Pflege auseinander, da sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten möchten, und bieten flexible Lösungen an. Wenn das Betriebsklima gut ist, sollte man offenlegen, dass man sich zu Hause um eine pflegebedürftige Person kümmert. Die Trends zu flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice sind hier natürlich eine sehr große Unterstützung. Wie schütze ich mich als pflegende Angehörige vor Überforderung und negativen gesundheitlichen Folgen? Indem Sie persönliche Grenzen akzeptieren und sich Hilfe holen. Ma- chen Sie sich klar, dass Ihr Wohlergehen genauso zählt wie das Ihres zu pflegenden Angehörigen. Neben Ihrer Existenzsicherung sollte auch noch Raum bleiben für Hobbys, Freunde, Entspannungsübungen und Sport. Nur so bleiben Sie stark. Außerdem sollten Sie unbedingt das reichhaltige Angebot von Selbsthilfegruppen für pflegende Ange- hörige nutzen. Nutzen Sie die Möglichkeit einer Vorsorgekur. Diese Aus- zeit sollte man auf jeden Fall in Anspruch nehmen, und zwar bevor der Rücken schmerzt, der Kopf drückt oder die Stimmung sinkt. DAS MAGAZIN DER BVK ZUSATZVERSORGUNG · 13